Samstag, 24. Juli 2010

Fazit

Wir sind nun wieder einen Monat in Deutschland. Die Erinnerung an das Erlebte bleibt, vermischt sich aber mit neuen Versionen bekannter Eindrücke. Die Amerikaner halten Deutschland für ein sehr sauberes und ordentliches Land. Sie haben recht damit. Deutschland ist darüber hinaus geschichtlich, architektonisch, kulturell vielschichtig und viel dichter als das in den Vereinigten Staaten der Fall ist. Deutschland ist auch dichter besiedelt und daher fast notwendigerweise feiner reguliert. Ein Wald von Schildern ordnet den Straßenverkehr, Verbote und Gebote auch sonst überall: "Das Tor geschlossen halten", "hier keine Werbung einwerfen", "Ballspiele nicht gestattet" und mein Liebling: "Garagenanlage, Licht und offenes Feuer polizeilich verboten". Ohne Paddelbesitzkarte wird das hier nichts mit der Kanutour, sofern natürlich das Befahren der Wasserfläche überhaupt ausdrücklich und grundsätzlich erlaubt ist. Die Deutschen glauben an ihren Staat und der Staat sorgt sich um seine unselbständigen Kinderchen. Er mischt sich dafür in alles ein, Ordnungsamt, Arbeitsamt, Finanzamt, Sozialversicherungsträger und Krankenkasse wollen wissen, wo ich war, wie lange und warum. Fünf Monate ohne Sozialversicherung? Die Beamtin sieht mich an wie einen verwegenen Abenteurer. Dagegen sind viele Amerikaner noch nichteinmal sicher, ob die Pflicht zur Krankenversicherung eine gute Sache ist.
Gibt es einen "Reverse Culture Shock"? Schon. Nach dem Essen dauert es Jahrhunderte, bis die Rechnung kommt und der Zahlungsvorgang wird vom Ober überwacht, wer zahlt wie viel? Gibt es vielleicht sogar Streit? Es wird öffentlich gesoffen, Bierflaschen im Park, betrunkene Jugendliche in der Straßenbahn. Es wird viel geraucht. Einkaufen geht wortlos, eintüten muss jeder selbst - Jonglage mit Lebensmitteln und Portemonnaie. Rempeleien werden ignoriert, Raserei und albernes Gehupe sind im Straßenverkehr vollkommen normal, jeder Deutsche ist ein weit überdurchschnittlicher Autofahrer. Fremde zu grüßen ist eher verdächtig denn freundlich, obschon natürlich die Nachbarn inzwischen verhalten zurückgrüßen. Das bedeutet natürlich nicht, dass es nicht klare Ansagen gibt, wenn das Törchen im Jägerzaun nicht korrekt geschlossen wird.
Haben die Deutschen Freude an ihrem Leben? Ich glaube schon, sie zeigen es nur nicht. Die meisten Kassierer bekommt man zu etwas Smalltalk bewegt, nur nicht lockerlassen.

Wie ist nun die Situation? Wir haben kein Zuhause, der Mietvertrag unserer möblierten Wohnung läuft zum Monatsende aus. Unser Hausrat ist Eingelagert und wir leben aus zwei Koffern. Das ist nicht optimal, vielleicht sogar gelegentlich belastend. Andererseits ist es aber auch (fast) das einzige und dazu noch ein überschaubares Problem.

Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Und irgendwann endet sie auch. Diese Reise ist wohl hier erstmal zu Ende. Und obwohl wir letztes Jahr viel Sicherheit aufgegeben haben, sind wir heute wieder etwa da. Ich bin also kaum in der Position zu bewerten, was wir aufzugeben glaubten. Ich bin aber in der Position zu beurteilen, was wir dafür bekommen haben. Ich kann daher sehr sicher sagen, dass sich dieser Schritt viel mehr lohnt, als ich das damals glaubte. Selbst vollkommen losgelöst von Ergebnissen und Folgen bin ich überzeugt von der Idee, mit dem Anfangen nicht aufzuhören. Damit geht es nicht nur schon los sondern auch erst los. Hermann Hesse hat geschrieben:

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben.

Und genau so ist es.